www.introspektiva.de - Tobias Jeckenburger: Die Reise des Kosmos - Online-Diskussion - KLuW e.V.: Die Wirklichkeit psychischer Krankheiten

Schwarze Pädagogik (T.J.)


Wenn man sich selbst oder andere gefährdet, bekommt man es als psychisch Kranker mit Sondergesetzen zu tun, die nur für psychisch Kranke gelten. Bei hinreichend schweren Straftaten wird §63 oder §64 angewendet, was dazu führt, dass man als schuldunfähig eingstuft wird, und man deshalb nicht mit Gefängnis bestraft wird. Aber man wird aus Sicherheitsgründen trotzdem festgesetzt und man kommt in eine Forensische Klinik.

Da kommt man nur wieder raus, wenn die dortigen Experten meinen, dass man nicht mehr gefährlich ist, sonst bleibt man drin. Das können fünf, zehn oder fünfzehn Jahre werden oder auch lebenslänglich. Bei kleineren Delikten kommt man meistens mit einem PsychKG davon, dann muss man nur für sechs Wochen in eine geschlossene Psychiatrie. Das kann aber auch immer wieder verlängert werden, sodass es insgesamt durchaus mit einer kleinen Gefängnisstrafe vergleichbar sein kann. Oft genug bekommt man schon ein PsychKG, wenn man noch gar nichts strafbares gemacht hat.

Eigentlich sollen Psychiater, wie alle anderen Ärzte auch, Patienten entsprechend des hippokratischen Eides gesund machen und sonst nichts. Dafür zahlt die Krankenkasse das gute Geld aus den Krankenkassenbeiträgen der Patienten. Jetzt kommen da Leute an und verlangen, dass Psychiater auch für Sicherheit sorgen sollen, und die Psychiater machen das einfach. Die Kliniken haben ja geschlossene Abteilungen, und Menschen, die man da unterbringt, können ja die Allgemeinheit derweil nicht mehr gefährden. Die Ärzte verdienen ganz normal ihr Geld damit, aber wessen Geld darf man dafür nehmen? Wenn gesunde Menschen wegen kleiner Delikte ins Gefängnis kommen, muss die Krankenkasse das ja auch nicht bezahlen. Also, wenn dann in der Klinik mehr gemacht wird, als dass für die Gesundheit des Patienten gesorgt wird, haben wir ein Problem: Eigentlich darf ein Arzt so was nicht machen, und die Krankenkasse müsste so was auch nicht bezahlen.

Und normale Leute sind oft genug mindestens genauso gefährlich, wie es der durchschnittliche psychisch Kranke ist, der per PsychKG zwangsbehandelt wird. Jeden Menschen kann man erst belangen, wenn er schon was gemacht hat, oder was ganz Konkretes plant, und auch die konkreten Pläne müssen nachgewiesen werden, ohne Nachweis geht hier nichts. Und Selbstgefährdung ist bei Gesunden im Allgemeinen ganz erlaubt. Bei der Zwangsbehandlung von psychisch Kranken dagegen müssen überhaupt keine wirklichen Nachweise geführt werden, in der Strenge, wie sie zur Verurteilung von gesunden Menschen nötig wären. Die Unschuldsvermutung und im Zweifel für den Angeklagten gibt es bei uns nicht.

Bei der Zwangsbehandlung von psychisch Kranken sollte der Nutzen für den psychisch Kranken im Vordergrund stehen und nicht der Sicherheitsaspekt. In der Praxis tut er das ja auch meistens tatsächlich, der Patient braucht oft dringend die richtigen Medikamente, dass er nicht noch weiter abstürzt, und die Begründung von einem PsychKG sollte hier normalerweise ihren Schwerpunkt haben.

Auch bleibt meistens in der Krise der Papierkram unerledigt, das kann teuer werden und bis zur Obdachlosigkeit führen. Auch sind immer weiter um sich greifende Beziehungsschäden ein wichtiges Thema. Zwangsbehandlung kann sehr sinnvoll sein, um hier Schäden zu reduzieren. Armut, Obdachlosigkeit und Einsamkeit sind gravierende Fakten.

Sondergesetze für psychisch Kranke sind so verlockend, weil die Psychiatrie zufällig die totale Macht über ihre Psychiatriepatienten hat. Warum dann nicht einfach für Sicherheit sorgen, indem man die Zwangsbehandlungsmöglichkeiten nach Belieben ausweitet? Ruck zuck tauchen auf einmal Persönlichkeitsstörungen auf, die nur im Zusammenhang von Straftaten überhaupt beachtet werden, und von denen auch keiner so recht weiß, wie er sie behandeln soll. Ist ja für einen guten Zweck, Sicherheit hört sich ja gut an. Nicht für die, die sicherheitshalber für Taten mit ihrer Freiheit bezahlen, die sie vielleicht eventuell hätten begehen können. Die Gutachter müssen hier keine Nachweise führen, ihre einfache Meinung genügt in der Praxis, einem psychisch Kranken die Freiheit zu entziehen. Das ist nicht richtig, finde ich.

Wenn ein psychisch Kranker bereits eine Straftat begangen hat, sollte man sich lieber an der geschehenen Tat orientieren, als an Mutmaßungen über eine Vielleicht-Zukunft, die keiner kennen kann. Was nützt denn jetzt wem dieses Konstrukt von der Schuldunfähigkeit? Dem Täter, dem Opfer, oder dem Staat? Die Tat ist real, der Schaden ist echt, und die Zukunft ist generell unbekannt, ob psychisch krank oder nicht. Bestraft wird der psychisch Kranke genauso, das Leben in der Forensik ist keinesfalls bequemer als das Leben im Strafvollzug. Der Freiheitsentzug in forensischen Kliniken ist umfassend, es gibt zwar besseres Essen und größere Gemeinschaftsräume, aber dafür ist jeder dem Gutdünken der Behandlungsteams ausgesetzt. Außerdem wird man regelmäßig auf andere Stationen verlegt, und vor allem weiß niemand, wann er wieder raus kommt.

Soll der Richter gefälligst entscheiden, welche Strafe jemand für seine Straftat bekommen soll, das ist sein Job. Eine psychische Krankheit kann die Motivlage beeinflussen und damit auch das Unrecht einer Tat relativieren. Das Motiv ist beim Strafmaß grundsätzlich relevant, ob ein Täter krank ist oder nicht. Die Schwierigkeit, ein gerechtes Strafmaß zu finden, einfach an Gutachter abzugeben ist bequem für den Richter, aber das dient der Sache nicht. Bei geringen Straftaten reicht dann ein PsychKG als Strafmaß aus. Bei entsprechend gravierenden Taten könnte das Strafmaß dann auch in Jahren konkret bemessen werden, und die Dauer des Freiheitsentzuges entsprechend der Tat per Nachweis und Gerichtsurteil festgelegt werden.

Straftäter, die psychisch krank sind und Hilfe brauchen, oder aufgrund ihrer Erkrankung gar nicht haftfähig sind, sollten dann in einer Forensik ihre Strafe absitzen dürfen und dort die nötige medizinische Unterstützung bekommen. Somatisch Erkrankten normalen Straftätern wird auch ohne Abstriche medizinische Behandlung gewährt. Aber die Entscheidung über die Freiheit einfach komplett den psychiatrischen Behandlungsteams und den von ihnen bestellten Gutachtern zu überlassen, ist nicht recht. Wenn ein Mörder nach drei Jahren wieder rauskommt, weil er nach Meinung eines Gutachters eine erfolgreiche Therapie gemacht hat, ist das genauso Murks, wie wenn ein kleiner Einbrecher fünfzehn Jahre in der Forensik festsitzt, weil er aufmüpfig und therapieresistent ist.

Psychiatrische oder Psychologische Gutachter können vielleicht den Gesundheitszustand einigermaßen einschätzen, aber die Gefährlichkeit einer konkreten Person können sie nicht sicher einschätzen. Weder bei Kranken noch bei gesunden Straftätern. Das kann die Polizei meistens besser, die hat auch viel praktische Erfahrung mit psychisch Kranken und vor allem hat die Polizei täglich mit Straftätern und Straftaten zu tun. Die modernen Überwachungsmöglichkeiten erlauben der Polizei hier präventiv immer besser tätig zu werden, und die Polizei hat ohnehin ihre Stammkunden unter Beobachtung. Dazu kommen Bewährungshelfer, Auflagen oder eine elektronische Fußfessel, das hilft dann schon, zu Rückfällen neigende Kriminelle zu kontrollieren und weitere Straffälligkeit einzuschränken. Nur in ganz seltenen Fällen braucht es eine Sicherheitsverwahrung, egal ob der Täter psychisch krank ist oder nicht.

Diese Sondergesetze für psychisch Kranke und Drogenabhängige mit §63 und §64 gehören gestrichen. Eine reguläre Therapiemöglichkeit während der Haftzeit für alle Straftäter wegen entsprechend gravierender psychischer Probleme wären dagegen zu begrüßen - wenn der Häftling damit einverstanden ist ganz besonders. Zur Zeit ist es immer noch schwierig, wenn man während der Haftzeit erst psychisch erkrankt, eine angemessene Behandlung zu bekommen.

Sollte eine Institution tatsächlich mit Therapie die Gefährlichkeit von Kriminellen reduzieren können, kann sie das ja anbieten, wenn einer das mitmachen möchte. Die Strafe selbst kann man zur Zeit sowieso schon wegen guter Führung etwas reduzieren, dieser Anreiz ist im Prinzip ausreichend, finde ich. Mit Rücksicht auf die Gefühle der Opfer und ihrer Angehörigen ist Straffreiheit nicht akzeptabel, eine Reduzierung der Strafe aus guten Gründen aber geht in Ordnung.

Die totale Macht über die Forensikinsassen fühlt sich für die Psychiater vielleicht gut an. Eine vernünftige Therapie jedenfalls braucht keine schwarze Pädagogik, die mit so viel Macht möglich wird.

Es ist auch eine Frage des Vertrauens. Eine Behandlung kann viel erfolgreicher sein, wenn ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden kann. Wenn das Behandlungsteam nicht über die Dauer der Maßnahme entscheiden muss, ist das sicher einfacher. Und auch, wenn sich die Behandlung schwerpunktmäßig daran orientiert, dass der Patient gesundheitlich davon profitieren kann. Wer will denn einem Arzt ausgeliefert sein, der nicht seine Gesundheit, sondern die Sicherheit von Anderen im Sinn hat? Wenn sich mit einer Gesundung auch die Gefährlichkeit reduziert, wird die Gesundheit durchaus Ziel der Behandlung sein. Aber für darüber hinaus gehende Maßnahmen sind mit gutem Grund weder Kliniken noch Ärzte zuständig.
(Tobias Jeckenburger)