www.introspektiva.de - Tobias Jeckenburger: Die Reise des Kosmos - Online-Diskussion - KLuW e.V.: Die Wirklichkeit psychischer Krankheiten

Macht es überhaupt Sinn, wieder gesund zu werden? (T.J.)


Im Moment ist die Idee der halben Krankschreibung aktuell. Dann kann man auch für eine bestimmte Arbeit und für ein bestimmtes Ausmaß an Arbeitszeit krankgeschrieben werden. Hört sich eigentlich sinnvoll an, wenn man dann auch noch ein Recht auf Teilzeitbeschäftigung dazu bekommt, gerät man bei längerfristigen Krankheiten auch nicht aus der Übung. Für die Arbeitgeber ist das auch von Vorteil, er kann seinen Mitarbeiter behalten, und muss nur halbe Lohnfortzahlung leisten. Auch würde man mit einer psychischen Erkrankung, die ja ein Risiko für längerfristige Krankschreibung mit sich bringt, eher von Arbeitgebern eingestellt.

Auch die Krankschreibung für eine bestimmte Art von Arbeit und für bestimmte Arbeitsbedingungen erscheint mir sinnvoll. Es gibt reichlich Zumutungen auf dem Arbeitsmarkt, wie viel zu früh aufstehen, zu viel Verantwortung, zu viel Leistungsdruck, unfreundliche Kollegen und Vorarbeiter oder Anforderungen im Kundenkontakt, die zu sehr anstrengen. Oft wird man heute wegen der schwierigen Randbedingungen komplett krankgeschrieben oder berentet, obwohl man die eigentliche Arbeit noch gut leisten könnte, und sogar gerne macht. Der Integrationsfachdienst der Kommunen kann hier hilfreich sein, und Einfluss auf die Arbeitsbedingungen nehmen. Aber so fit muss man erst mal sein, dass kommt nur für wenige psychisch Kranke überhaupt in Frage.

Wenn man nach einer psychischen Krise wieder gesund wird, kann das aber heutzutage durchaus passieren, dass man erst gesundgeschrieben wird, und dann wieder dieselbe Arbeit machen muss, von der man zuvor krank geworden ist. Dass kann bei Langzeitarbeitslosen genauso passieren, dass sie vom Druck und den Schikanen der ARGE krank geworden sind, und nach ihrer Genesung den gleichen Stress damit haben wie vorher. Der behördliche und juristische Gang der Dinge nimmt oft keine Rücksicht auf die Lebensrealität und ist damit gesundheitsgefährdend.

Psychische Krankheiten sind oft sehr schwerwiegend, vor allem wenn die Einschränkungen zur sozialen Isolation und zur völligen Untätigkeit führen. Die emotionalen Folgen davon sind nicht therapierbar, das darf gar nicht erst passieren. Sonst besteht hier regelmäßig konkrete Selbsmordgefahr.

Gesund werden macht also unbedingt Sinn, Gesundschreiben, wie es heute praktiziert wird, nicht unbedingt. Psychische Gesundheit macht auch fit for fun, hilft bei der Alltagsbewältigung und begrenzt das Leidensausmaß im Lebenskampf. Aktiv sein, und ohne große Langeweile die Tage zu gestalten, sinnvolle Tätigkeiten auch außerhalb von Erwerbsarbeit auszuüben, erfordert eine gewisse Fitness, die das Leben besser und einfacher macht.

Allerdings können auch durchaus eine Menge Einschränkungen durch Krankheiten oder Behinderungen bestehen, und man kann trotzdem gut und erfüllt durchs Leben kommen. Die hundertprozentige Gesundheit ist hier überhaupt nicht erforderlich, und es gibt auch kaum Menschen, die ganz ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen durchs Leben gehen können. Hier ist es etwas subjektiv, wie man seine Einschränkungen bewertet, oft ist man hier gesund und krank zugleich. Eingeschränkt schon, aber dennoch mit reichlich Möglichkeiten, und dabei mit interessanten Perspektiven.

Ich denke darüber hinaus, dass Gesundheit sowieso gar nicht definierbar ist. Jeder Versuch einer Definition kommt nicht ohne viele Ausnahmen aus. Wohlbefinden und das zufriedene Schweigen der Organe z.B. ist oft vorhanden, obwohl man ganz und gar nicht gesund ist. Wenn ich Heroin nehme, fühle ich mich super, bin aber schwerstens suchtkrank. Oder andersherum, wenn ich bei einem Radrennen im Zieleinlauf um den Sieg kämpfe, schreit mein Körper in allen Muskeln, dass ich sofort aufhören muss, aber gerade dass zu überwinden, bringt den Sieg und mach den Sinn des ganzen Sports aus. Da ist man nicht nur nicht krank dabei, da ist man superfit.

Motiviert von Pharmafirmen werden immer wieder neue Krankheiten erfunden, und bestehende Krankheiten ausgeweitet. Die Grenzwerte, ab wann Bluthochdruck als Krankheit gilt und medikamentös behandelt wird, sinkt seit Jahrzehnten kontinuierlich ab, und die Geschäfte mit den Blutdrucksenkern verbessern sich immer weiter. Hier ist es wichtig, Distanz zu bewahren, und sich nicht verrückt machen zu lassen. Eingeredete Krankheiten können auch dazu führen, dass man sich krank fühlt, und sind damit ein Faktum für sich.

Wohlbefinden und Widerstandskraft sind nicht nur von körperlichen Fakten abhängig, es ist auch eine Frage der Einstellung, wie man mit seinen Zipperlein umgeht. Der eine fühlt sich schon richtig krank, wenn er nur ein bisschen Fußpilz hat. Der andere sitzt im Rollstuhl, und lädt noch regelmäßig Freunde zum Essen ein und konzentriert sich ganz auf die Möglichkeiten, die er neben allen Einschränkungen noch hat, und fühlt sich überhaupt nicht krank.

Wohlbefinden ist ein Thema für sich, und hat oft so viel mit Gesundheit gar nicht zu tun. Viele Leiden spielen sich jenseits von Krankheit ab und gehören einfach zum Leben dazu. Liebeskummer ist bei bester Gesundheit unvermeidlich, Kinder gebären ist das schmerzhafteste, was es gibt. Niedergeschlagenheit und Verzweiflung gehören zu jeder Entwicklung dazu. Heroin erzeugt spontanes Wohlbefinden, aber wirkliche Zufriedenheit braucht vor allem Herausforderung und guten Taten, die völlige Abwesenheit von Krankheiten ist dafür nicht nötig.
(Tobias Jeckenburger)