www.introspektiva.de - Tobias Jeckenburger: Die Reise des Kosmos - Online-Diskussion - KLuW e.V.: Die Wirklichkeit psychischer Krankheiten

Wie respektiert man Verrückte? (T.J.)


Immer wieder erleben psychisch Kranke, dass sie nicht respektiert werden. Insbesondere Krankenpfleger in der Psychiatrie fallen durch Respektlosigkeit gegenüber ihren Patienten auf. Hier ist das besonders schmerzlich, ist man doch dort meistens mehr oder weniger zwangsweise untergebracht, und man kann da nicht weg. Zusätzlich ist man auf Hilfe angewiesen, damit sich der eigene psychische Zustand bessert, dass man von seinen Wahnideen runter kommt und dass sich die Gefühlslage stabilisiert.

Die Länge der Verweilzeiten ist hier ganz entscheidend. In normalen Krankenhäusern ist man nur Tage oder Wochen, und hier gibt es grüne Damen, die Gespräche anbieten und Besorgungen machen. Die gibt es in der Psychiatrie nicht, und hier verweilt man eher Monate.

Lebenspraktische Kleinigkeiten wie Ersatzkleidung, Zahnbürste, Ohrstöpsel gegen Schnarcher und zwischendurch mal eine Schnitte Brot oder ein Glas Saft wären wohl selbstverständlich, die Realität in den Kliniken bietet oft nicht mal das. Regelmäßige Gespräche zwischen Personal und Patient finden kaum statt, vor allem wenn man verrückt ist. Haben die Krankenpfleger einfach keine Lust, oder keine Zeit oder wissen die gar nicht, wie man sich mit Verrückten doch auch unterhalten kann?

Meinen die, dass man die Patienten besser im eigenen Saft schmoren lässt, oder versucht man einfach sicherheitshalber aus der Schusslinie zu kommen, falls der Patient mal handgreiflich wird?

Aus meiner Erfahrung als Mitpatient weiß ich ganz gut, welche Geschichten von akut psychotischen Menschen ich mir noch anhören kann. Ich kann auch durchaus respektvolle und ausreichend distanzierte Kritik an Wahnideen äußern, ohne hier gleich Streit oder gar Gewalttätigkeiten befürchten zu müssen. Wichtig ist hier, dass ich mein Gegenüber nicht entwerte, sondern einfach nur meine eigene Einschätzung äußere, wie ich die Realität mit meinen Mitteln einschätze. Wenn es mir zu viel wird, kann ich sagen, dass mir das jetzt zu anstrengend wird, ohne dass ich hier entwerten muss.

Verrückte sind ja nicht unbedingt ganz ohne Verstand. Die Wahnideen sind in der Akutphase zwar maßgeblich, aber man kann ja auch mit den Patienten über weniger kritische Themen reden, die vom Wahn nicht betroffen sind, und so soziale Interaktion realisieren. Weitgehend normale Unterhaltung über normale Themen kann sogar helfen, die Normalität zurückzuholen.

Wir haben auch in unseren Selbtshilfeprojekten kriselnde Mitstreiter bei Veranstaltungen ausnahmesweise mal rausgeschmissen, weil wir so nicht mehr arbeitsfähig waren. Wichtig ist hier, wie man das macht. Wenn man ganz klar sagt, wir wollen hier Ergebnisse erzielen, z.B. an unserer Vereinszeitung arbeiten, und mit dem Chaos dass du hier verbreitest, können wir unser Ziel nicht erreichen. Das ist dann zwar hart, aber akzeptabel. Man muss gucken, dass der Verrückte versteht, dass er hier tatsächlich in seinem Zustand irgendwie arbeitsunfähig ist und deshalb den Betrieb aufhält.

Natürlich helfen in psychotischen Krisen letztlich vor allem die Medikamente, aber solange es einem noch nicht besser geht ist man doch Mensch und hat menschliche Bedürfnisse, zu der eben ganz wesentlich auch sozialer Austausch gehört. Der ist auch noch realisierbar, wenn der Mensch noch verrückt ist, und das kann eine Genesung in jedem Fall unterstützen.

Gerade wenn die Medikamente erst mal nicht viel helfen, sind manchmal sogar Psychiater regelrecht aggressiv, wie aus Frust über die Erfolglosigkeit der eigenen Behandlung. Das ist keine gute Einstellung. Die akuten Lebensverhältnisse müssen geklärt und in Ordnung gebracht werden, dafür braucht es fleißige Sozialarbeiter und Betreuer und oft auch seine Zeit. Wenn es ungünstig läuft, kann man die untragbare Lebenssituation über Jahre gar nicht verbessern, so dass sich dann mittelfristig eine Drehtürkarriere entwickelt. Gerade dann muss ein soziales Leben in der Klinik stattfinden, nicht nur in der Arbeitstherapie, sondern auch auf den Stationen. Dafür braucht es Krankenpfleger, die willens und fähig sind, auch Verrückte zu respektieren und mit ihnen in sozialen Austausch treten können.

Genesungsbegleiter mit Ex-In-Ausbildung sind hier sicher kompetent, und von denen könnte sich auch das professionelle Personal mal abgucken, wie man Verrückte respektiert.
(Tobias Jeckenburger)