www.introspektiva.de - Tobias Jeckenburger: Die Reise des Kosmos - Online-Diskussion - KLuW e.V.: Die Wirklichkeit psychischer Krankheiten

Mein Schwiegervater mit Alzheimer (L.O.)


Ich pflege zu Hause meinen Schwiegervater, der an Alzheimer erkrankt ist. Sein Vater war auch schon an Alzheimer erkrankt und wurde von ihm zu Hause gepflegt, bis dieser im Bett unter Fixierung verstarb. Mein Schwiegervater war bei dem gleichen Arzt wie sein Vater. Als mein Schwiegervater seine Diagnose bekam, hatte er natürlich Angst genauso zu enden wie sein Vater. Daher ging er nicht mehr zum Arzt, zog sich immer mehr zurück. Wir hatten kaum noch Kontakt zu ihm, obwohl er in der gleichen Stadt wohnte. Er erzählte niemanden von seiner Diagnose. Der Arztpraxis ist es nicht aufgefallen, dass er nicht mehr kam. Wir trafen ihn drei bis viermal im Jahr. Für mehr hatte er nie Zeit, laut seiner Aussage. In seiner Wohnung dürften wir nie rein, wir trafen uns immer bei mir oder in der Stadt. Da ich meine Ausbildung in der Psychiatrie abgeschlossen hatte und auch ein Studium in praktischer Psychologie abgeschlossen habe, fiel mir in den Jahren auf, dass er sehr vergesslich war und viele Ereignisse und Orte durcheinander brachte. Ich setzte mich mit meiner Frau zusammen und wir versuchten dann näheren Kontakt zu ihrem Vater aufzubauen und in seine Wohnung zu kommen. Das erste Mal in seiner Wohnung waren wir 7 Jahre nach Diagnosestellung. Es war ein Messi-Haushalt, kaum noch Wege frei für seinen Rollstuhl. Es roch sehr stark. Wir haben viele Wochen gebraucht, ihn zu überzeugen, zu uns zu ziehen. Den Umzug übernahm ich, so konnte ich auch gleich seine Unterlagen durchschauen. Die meisten waren aber verschimmelt. So riefen wir dann die unterschiedlichsten Ärzte an, von denen wir wussten, dass sie Kontakt zur Familie hatten und bekamen so raus, dass er Alzheimer hat. Mein Schwiegervater wäre in unserem sozialen System durchgefallen, und wäre irgendwann vereinsamt in der Wohnung verstorben oder ziellos durch irgendwelche Straßen gewandert, wenn mir nicht etwas aufgefallen wäre. Er war in einem sehr mäßigen körperlichen Zustand, hatte immer wieder vergessen zu essen oder zu trinken. Seitdem er bei uns lebt, geht es ihm besser. Aber dass es in der heutigen Zeit noch passieren kann, dass ein Mensch so vernachlässigt wird mit so einer Diagnose, ist unvorstellbar.
(Lothar Oshege)