Ich habe eine Psychose – Punkt (D.)
Das ist eine sch... Krankheit. Sie beeinflusst mehr oder weniger mein bewusstes Denken, Wollen und Handeln bis zum vollständigen Kontrollverlust.
Man sagt, es liegt an der fehlerhaften Übermittlung von Impulsen zwischen Nervenzellen im Gehirn, auf Grund von Mangel oder Überschuss von Botenstoffen.
Also ist es in dem Sinne keine psychische Krankheit, was auch immer die Psyche sein soll, sondern in dem Sinne eine Gehirnerkrankung.
Nun ja, die im akuten Stadium auftretende Krankheitsuneinsichtigkeit und der einsetzende Kontrollverlust stoßen auf Unverständnis und können schwerwiegende Folgen haben: übermäßige Geldausgaben, Aggressivität bis zur Kriminalität.
Das Gehirn ist ein Organ von vielen im Körper des Menschen. Es gibt andere Organe, die krank werden können und es gibt inzwischen für fast jede Lebenslage einen Facharzt. Aber warum macht man so einen großen Unterschied zwischen den körperlichen Krankheiten und den psychischen. Man sagt die psychischen Krankheiten und die Betroffenen werden stigmatisiert.
Beispiel: Ich gehe zu einer Kaffeerunde in der Gemeinde und die Anwesenden, in die Jahre gekommene Damen, unterhalten sich auch gerne über ihre Krankheiten:
„Wie viele Gallensteine hat man bei dir entfernt?“
„Wie lange konntest du nach deiner Fußoperation nicht laufen?“
„Wie lange musstest du deinen Gips tragen?“
Ich schweige. Ich trage keinen Gips oder Verband, sitze nicht im Rollstuhl. Trotzdem bin ich krank, habe mal gute, mal schlechte und auch sehr schlechte Tage, muss regelmäßig Medikamente nehmen und wenn es gar nicht anders geht muss ich auch in die Klinik. Und für eine derartige Psychiatriekrankengeschichte gibt es kaum Verständnis. Es gibt in der Allgemeinbevölkerung auch kaum Kenntnisse über derartige Erkrankungen.
Über andere schwere Krankheiten, Herzinfarkt, Krebs, Aids, etc. weiß man im Allgemeinen besser Bescheid und es ist auch eine gewisse soziale Akzeptanz da.
Es gibt die Möglichkeit bei Homosexuellen, sich zu outen, d.h., offiziell seine Andersartigkeit zu betonen, und sein coming-out zu zelebrieren.
Die Möglichkeit habe ich bei meiner Erkrankung nicht, ohne weitreichende Konsequenzen zu befürchten.
Wie reagiert z.B. der Arbeitgeber, die Bank, der Steuerberater? Würden mir Nachbarn noch ihre Kinder zur stundenweisen Betreuung anvertrauen? Was würde ein Handwerker denken, den ich beauftrage. Hätte er Angst, ob er seine Rechnung bezahlt bekommt?
Familienangehörige und enge Freunde wissen von meiner Krankheit und akzeptieren mich damit, manchmal mit einem Hauch der Bewunderung darüber, dass man auch damit sein Leben meistern kann. Entferntere Bekannte und Nachbarn weihe ich nicht ein, weil ich davon ausgehe, dass sie dafür kein Verständnis haben. Nachbarn bekommen zwar schon manchmal einiges mit, das lässt sich nicht ganz vermeiden. Ich habe nie mit ihnen selber darüber geredet. Ich glaube ich hinterlasse einfach den mehr oder weniger schwammigen Eindruck: „Die ist irgendwie komisch“ - mehr nicht.
Es gab und es gibt mehrere Krankheiten, die irgendwie anrüchig sind, man denke z.B. an die Aidskranken. Dort hat es riesige Aufklärungskampanien gegeben, man denke an die Aktion mit den roten Schleifen und den Weltaidstag. Auch bekannte Schauspieler, Sänger und Künstler machten ihre Krankheit mit einem Mal öffentlich. Durch eine entsprechende Lobby konnte man die gesellschaftlichen Folgen der Krankheit dämpfen.
Wenn ich an den Umgang mit Psychiatrieerfahrenen denke, fällt mir als Vergleich nur der Umgang mit Tuberkulösen im letzten und vorletzten Jahrhundert ein. Man wusste irgendwie, dass die Krankheit was mit Armut, schlechter Ernährung und Hygiene zu tun hatte, in den Familien gehäuft auftrat und irgendwie was mit Ansteckung zu tun hat. Die Kranken wurden deshalb ausgegrenzt und keiner wollte mit ihnen oder ihren Familien etwas zu tun haben. Unkenntnis ist immer ein schlechter Ratgeber.
Dieses Unterteilen der Krankheiten in psychische und physische Krankheiten, oder auch in verschuldet oder unverschuldet erworbene Krankheiten, gehört eindeutig in die letzten Jahrhunderte.
Jeder Mensch hat ein Recht darauf, von seiner Umwelt in seinem Wesen akzeptiert zu werden. Und Andersartigkeit kann auch als große Chance aufgefasst werden.
(Dorothee)
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