www.introspektiva.de - Tobias Jeckenburger: Die Reise des Kosmos - Online-Diskussion - KLuW e.V.: Die Wirklichkeit psychischer Krankheiten

Täter und Opfer (H.W./T.J.)


Beim Begriffspaar Täter und Opfer denkt man als erstes an Straftaten. Diese sind immer die Ausnahme, ein Spektakulum, ein außergewöhnlicher Rechtsbruch. Und diese sind einfach, klar strukturiert und werden einvernehmlich beurteilt, meistens sind sich auch die Täter darüber im Klaren, dass sie hier Recht brechen und was Falsches tun.

Fast immer finden Straftaten in kurzfristigen Ausnahmesituationen statt und dauern nur Minuten. Danach sind sie vorbei, nur der Schaden kann immens sein. Zunächst direkt materiell, aber meist mehr noch sind die psychischen Folgen der größere Schaden. Wenn einem nur die Brieftasche geraubt wurde, und man den Verlust noch von der Hausratversicherung ersetzt bekommt, kann man doch schnell eine Angststörung entwickeln, und sich jahrelang nicht mehr alleine auf die Straße trauen. Andererseits sind z.B. die Schäden durch Bankautomatenknacker rein materiell, aber dafür mit erheblichen Sachschäden verbunden.

Aber viel gefährlicher sind hier Situationen, in denen man als Opfer über Jahre hinweg von Tätern malträtiert wird. Die Unterdrückung, die man als Kind erleiden muss, kennt jeder, wenn auch in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Der eine bekommt nur öfter seinen Willen nicht, oder wird mit Stubenarrest oder mit Ohrfeigen von den eigenen Eltern ab und an mal bestraft. Das ist zwar sehr normal, aber auch das macht psychisch einiges aus, das man da zu verarbeiten hat.

Aber andere werden schwer misshandelt, mitunter jahrelang sexuell missbraucht, mit Duldung der eigenen Eltern, oder sogar durch die eigenen Eltern selbst. Die Familie ist de Facto eine Totale Institution, in der man jahrelang Opfer sein kann, ohne dass man die Chance bekommt, sich erfolgreich zu wehren, oder aus der Situation ganz raus zukommen. Theoretisch ist ein Kind auch in der Familie vom Staat geschützt, aber in der Praxis oft gar nicht, wenn sich die Täter im Umfeld nur geschickt genug verhalten.

Die Familie ist nicht die einzige Totale Institution, die in der Praxis eine dauerhafte Opferrolle verursachen kann. Des weiteren können Totale Institutionen sein: Jugendamt, Kinderheim, Kirche (für Kinder), Schule, Bundeswehr, Arge, Knast, Psychiatrie, Altenheim. In historischen Zeiten war noch die Kirche, die Ehe und das ganze Feudalsystem eine Totale Institution. In anderen Ländern kommt noch Mafia, Bürgerkriegswarlords oder ein totalitärer Staat dazu.

Totale Institutionen sind durch die Staatsmacht rechtlich angelegt, oder praktisch angelegt, indem sie vom Staat geduldet werden. Sie zeichnen sich meistens darin aus, dass man zwangsweise dort untergebracht wird und keine Möglichkeit hat, sich dem zu entziehen. Damit ergibt sich eine Machtposition der Mitarbeiter in den Institutionen, die problematisch werden kann.

Im Prinzip gibt es verschiedene Typen von Menschen, die in den Institutionen arbeiten. Erstens vernünftige Leute, die gute Arbeit machen und deine Interessen respektieren. Dann gibt es reichlich Idioten bzw. Fachidioten, die viel Schaden aus Dummheit anrichten können. Dann gibt es noch Schweine, die nicht zufällig da angestellt sind, sondern sich die Machtposition gezielt erarbeitet haben, z.B. um Kinder zu missbrauchen oder die einfach nur gerne rumkommandieren. Dann gibt es aber noch Mitarbeiter, die hier falschen finanziellen Anreizen erliegen und Schäden bei dir verursachen, indem sie z.B. dich in einem Wohnheim festhalten, weil sonst Plätze leerstehen würden mit entsprechenden finanziellen Verlusten für den Träger. Der finanzielle Anreiz kann so weit gehen, dass sie dir die Kinder wegnehmen und diese am Ende in extrem teure und extrem lukrative Auslandsbetreuung schicken. Hier werden manchmal mit Kindern Millionen gemacht.

Der Staat will das gar nicht mal unbedingt so haben, aber es passiert dann letztlich doch. Manchmal aus Nachlässigkeit, aber auch weil der Staat nicht weiß wie er es besser machen soll. Manchmal geht es kaum anders, z.B. in der Totalen Institution Familie. Manchmal will der Staat aber wirklich Menschen verfolgen und auch vernichten.

Entscheidend ist die Macht, die man über dich hat, und dass es ein Glücksspiel wird, an welche Art Menschen man hier gerät. Die Wahrung der Würde des Opfers wird mit zur Glücksache. Deine Würde wird von vielen Mächtigen aus gewisser Selbstverständlichkeit trotzdem geachtet, aber gerade wenn man sich darauf nicht verlassen kann, macht das schon Bauchschmerzen.

Und wenns dann schiefgeht, bist du dem fast ohnmächtig ausgeliefert. Persönliches Ansehen, auch das Ansehen vor dir selbst, kann dann große Unterschiede machen.
Gesellschaftlicher Status ist hier hilfreich und sorgt für mehr Respekt. Auch wenn du viel Geld hast und dir gute Anwälte leisten kannst, kann sich die Lage deutlich bessern. So werden gerade Personen aus der Unterschicht schneller zum Opfer von übergriffigen Institutionen. Auch ein gutes soziales Netz kann helfen.

In vielen Situationen ist es komplexer, und es hängt von dir selber ab, ob du hier Opfer wirst oder nicht:

Arzt-Patient: Wissenshierarchie, aber auch Kundengeschäft. Wenn man den Arzt einfach wechselt, ist man ihn los.

Chef-Angestellter: Produktive Hierarchie – Arbeitsmarktlage ist entscheidend dabei. Einfach kündigen und woanders arbeiten.

Vermieter-Mieter: Trennung der Beziehung mit viel Arbeit verbunden. Dann zieht man eben ein weiteres Mal um.

Hier ist auch die gesellschaftliche Position entscheidend, ob man Opfer wird oder nicht. Wenn man schon pleite ist, ist z.B. ein Umzug ein dickes Problem, hat man genug Geld, eher nur ein Haufen Arbeit.

Ehe: Mit Umzug, Trennung des Eigentums oder Trennung von den Kindern verbunden.
Egal, trennen und neu anfangen.

Trickbetrüger-Beklauter: Nur Ausnahmehierarchie mithilfe von spontaner Überlistung.
Zahlen und fröhlich sein. Kommt drauf an wie teuer, und ob deine Existenz davon bedroht ist.

Räuber-Beraubter: Nur Ausnahmehierarchie mithilfe nackter Gewalt. Kommt drauf an wie brutal das abläuft.

Die Verteidigung des Gewaltmonopols des Staates ist das wesentlichere Motiv der Strafverfolgung, der Opferschutz kommt erst als zweites. Man sollte hier nicht zu viel erwarten. Aber die Zeiten bessern sich. Hilfreiche Polizei bei häuslicher Gewalt und Frauenhäuser heute. Früher konnten Hausfrauen, die nicht putzten oder die ehelichen Pflichten verweigerten, in die Psychiatrie kommen. Noch früher war Züchtigung von Ehefrauen durch den Ehemann sogar Pflicht.

Die Rolle des Staates ist oft ganz entscheidend, z.B. ist die Bundeswehr immer noch eine Totale Institution, aber vergleichsweise in Maßen. Man darf sich bei der Bundeswehr über Vorgesetzte beschweren, oft ohne sanktioniert zu werden. Da muss man schon Pech haben, dass in der Kompanie gleich mehrere Schweine Vorgesetzte sind, dann kann eine Beschwerde auch heute noch eine Gruppenstrafe wie einen 30-km-Marsch mit vollem Gepäck und Gasmaske bei 30° zur Folge haben. In der Wehrmacht der Nazis sah das wesentlich drastischer aus. Dort war jeglicher Widerspruch absolut lebensgefährlich.

Die Frauenhäuser sind zur Zeit voll, wegen der Flüchtlinge wohl. In vielen Herkunftsländern sind Ehen noch Totale Institutionen, und unserer Staat bietet sich hier an, die Frauen da herauszuholen, wenn die das wünschen.

In den Ländern, wo die Großfamilie die einzige soziale Sicherheit bietet, macht es Sinn, das Heiraten arrangiert werden und dann pflichtgemäß nicht wieder geschieden werden können. Ehepartner, die aus persönlichen Gründen nicht in die Großfamilie passen, würden dazu führen, dass die ganze Großfamilie auseinander bricht. Eine sitzengelassene Frau mit Kindern würde letztlich verhungern in Ländern, wo sie keine qualifizierte Arbeit bekommen kann.

Bei uns gibt es soziale Sicherheit, Bildung für Frauen und auch die entsprechenden Arbeitsplätze. So ist es möglich geworden, dass Ehen hier keine Totale Institution mehr sein müssen. Man muss bei Flüchtlingen bedenken, dass sie eventuell wieder in die Herkunftsländer zurückkehren müssen. Wenn die Frauen hier ihre Ehe scheiden lassen und ein paar Jahre später wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren müssen, werden sie dort ganz ohne unterstützende Großfamilie womöglich verhungern.

So werden auch bei uns viele Opferbeziehungen in Ehen nicht beendet und Straftaten vertuscht, um die Großfamilie bzw. ihre Ehre nicht zu beschädigen.

Die Liebe in der Ehe ist in historischen Zeiten sowieso recht unwichtig gewesen. Ob man sich mit einem Partner versteht und sich gut miteinander unterhalten kann ist heute mit das Wichtigste in einer Beziehung. Früher hatte man vor lauter Arbeit und Not kaum Zeit dazu, sich unterhalten zu können. Da kam man von der Feldarbeit, hat eben schnell etwas gegessen und fiel dann todmüde ins Bett. Auch Hierarchien in der Familie waren wichtig, man hatte keine Zeit lange zu diskutieren.

Die Großfamilie kann durchaus Vorteile haben. Sie kann wie ein Unternehmen gut laufen, mit Zusammenarbeit und Produktivität, hilft gegen Einsamkeit, und alte Menschen sind dort meist sehr viel besser aufgehoben als in der ebenfalls Totalen Institution Altenheim.

Aber meistens sind Großfamilien eine schwierige Angelegenheit. Auch wenn die Organisation gelingt, ist das eine Herausforderung und viel Beziehungsarbeit. Freiwillig macht man das meistens nicht und freut sich, wenn der Staat die soziale Sicherheit und Rentenversicherung sowie Krankenversicherung bietet, und man deshalb unabhängig von seiner Verwandtschaft bleiben kann.

Aber öfter ist das Leben in der Großfamilie auch katastrophal, hauptsächlich für Frauen. Abgeschnitten von Bildung, in Hierarchien eingebunden, in denen sie nichts zu sagen haben, können sie kein selbstbestimmtes freies Leben führen. Das geht bis zur Zwangsbeschneidung, wo der Spaß dann im wahrsten Sinne des Wortes ganz aufhört.

Was mache ich als Opfer? Zur Polizei gehen, einen Anwalt einschalten, gucken, dass ich aus kritischen Totalen Institutionen rauskomme, wenn ich dort unter Druck gerate. An die Presse gehen, genau beobachten, nach Alternativen suchen und Bücher über psychische Krankheiten schreiben. Was mache ich mit den Tätern? Verachten und links liegen lassen, oder vor Gericht bringen, wenn das möglich ist. Laut klagen, um wenigstens etwas am guten Ruf der Täter zu kratzen.

Welche Möglichkeiten habe ich? Dem Druck notgedrungen nachgeben und auf Situationen warten, die es mir ermöglichen, aus der Opferrolle rauszukommen und danach noch wenn möglich Vergeltung üben. In der Familie und anderswo: irgendwann bin ich rein körperlich stark genug, meinem Vater einen Elfmeter zu verpassen, das ändert dann auch die Art der Beziehung. Mit Faustrecht kommt mein Vater dann bei mir nicht mehr weiter.

Was ist hier Recht? Notwehr ist ja erlaubt. Eine jugendliche begeisterte Diskogängerin hatte immer Angst, dass sie auf dem Heimweg überfallen und vergewaltigt wird. Also hat sie jahrelang intensiv Karate trainiert und konnte sich dann auch nicht nur sicher fühlen, sondern war dann tatsächlich den meisten Kriminellen gegenüber stark genug, dass da nichts mehr zu befürchten war. Ein Sicherheitsgefühl kann man sich so mit viel Training erarbeiten. Warum Fußball spielen, wenn man auch Karatetraining machen kann.

Wissen, Macht und Hierarchie gehören zum Leben. Dem einen gefällt Hierarchie und er fühlt sich darin wohl, der andere macht lieber selbstverantwortlich was er selber will. Man kann schon gucken, dass man seine Freiheit verteidigt und sich von Hierarchien erfolgreich fernhalten. Man kann sich ein gewisses Ansehen verschaffen und sich eine gewisse Stärke zulegen, das fördert dann die Unabhängigkeit.

Wo du dich auskennst, geht es dir auch gleich viel besser. Sich informieren und Erfahrungen von Leidensgenossen einholen lohnt sich. Wenn du dir selbst wenig Bedeutung gibst und dich nicht anstrengst, dich kompetent zu machen, und nicht nach Wegen suchst dich durchzusetzen, kommst du schneller in die Opferrolle rein. Wenn du nicht weißt, was du willst, wenn du nicht weißt, was du dir nicht gefallen lassen darfst, kannst du auch nicht agieren. Mut zum Handeln ist hier gefragt, wenn man keine Risiken eingeht, kommt man nicht vorwärts. Selbst Misserfolge bringen einen langfristig weiter, dann weiß man wie es nicht geht, und kann sich am Ende doch noch erfolgreich wehren.

Den Menschen nichts Böses zutrauen ist unrealistisch. Auf der anderen Seite nicht den Glauben zu verlieren, dass das Leben gut sein kann und dass Menschen deine Freunde sein können ist, auch nötig.

Die Opferrolle in der Psychiatrie ist besonders relevant, weil hier viel staatlich verfügte Macht auf ein extrem undurchsichtiges Fachgebiet trifft, und man auch noch gerade in psychischen Krisen damit konfrontiert wird. Die möglichen Schäden sind erheblich:

Freiheitsentzug
Fixierung
Medikamente mit schwerwiegenden Nebenwirkungen
Falsche Diagnosen und daraus folgende falsche Therapien
Unzureichende Behandlung aus Zeitmangel
Körperliche Krankheiten werden psychosomatisch eingestuft und nicht behandelt
Abhängigkeit von Medikamenten kann erzeugt werden
Erhebliche Übergriffe durch Mitpatienten

Widerstand mögen sie nicht in der Psychiatrie, deshalb:
Meinungen stehen lassen
nicht auffallen
Beziehungen aufbauen
Cool bleiben, kleine Schäden gelassen hinnehmen
Nicht zur Opferrolle kommen lassen, und wenn doch, was kann man dann machen?
Besuch kommen lassen
Selber ätzend und gemein werden
Missstimmung innerhalb des Personals fördern

Widerstand wirkt über die Jahre doch, die vernünftigen Mitarbeiter sorgen dafür, dass hier reagiert wird, wenn was regelmäßig schiefläuft. Erst mal fallen die ordnungsbeflissenen Mitarbeiter über dich her, wenn du Widerstand gegen die Behandlung leistest, und überziehen dich mit gewalttätigen Übergriffen, aber über die Jahre ändert sich auf einmal was. Man sollte schon so viel Widerstand leisten, das klar ist, dass hier was nicht in Ordnung ist.

Die Diagnosen selbst sind schon potenziell übergriffig: für den Fachidioten ein Dogma, für kompetente Menschen mit Erfahrung nur Arbeitshypothese. Die Kombination von Institutioneller Starrheit, fachidiotischen Mitarbeitern und falschen finanziellen Anreizen ist besonders destruktiv, da fallen absichtlich sadistische Mitarbeiter dazwischen kaum auf.

Die Lage ist schwierig, wie soll man den gesetzlichen Rahmen in der Psychiatrie sonst gestalten? Auf Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung kann in vielen Fällen nicht verzichtet werden. Hier sind kompetente Teams gefragt, die mit soviel Macht auch umgehen können. Wohnbetreuer sind auch sehr hilfreich, um Unterstützung gegen Zumutungen beim Klinikaufenthalt zu leisten. Ex-Inler im Team sowie effektive Beschwerdemöglichkeiten sind zur Zeit im Aufbau, das ist gut. Man kann nicht einfach auf die Kompetenz der Klinikmitarbeiter vertrauen und ihnen alle Macht überlassen. Das funktioniert zu oft gar nicht gut.

Die Lage bessert sich, aber die Diagnosen können immer noch ein Fass ohne Boden sein: Mit Schizophrenie kann man dir eigentlich immer Selbst- oder Fremdgefährdung anhängen. Alles was du sagst, kann angezweifelt werden, dein eigenes Urteil ist im Zweifelsfall überhaupt nichts mehr wert, egal ob du Recht hast oder nicht. Man müsste da differenzierter rangehen. Man wird oft in einer Art Verachtung von Ärzten, Ämtern und in der Justiz ignoriert, als wäre man grundsätzlich zu keinem vernünftigen Gedanken fähig. Das ist eine nicht zu unterschätzende Opferrolle, die selbst als solche wiederum gleich mit ignoriert wird. Da kann man oft nur zugucken und sich seinen Weg zum Überleben unter den verbleibenden Optionen suchen.

Psychologen sprechen oft von dem fehlenden Grundvertrauen, dass sie bei psychisch Kranken beobachten. Das wundert nicht, denn die Totale Institution Psychiatrie greift dein Grundvertrauen mit ihrer Machtfülle frontal an. Du musst tatsächlich hoffen, dass du Glück hast und da unbeschädigt wieder raus kommst. Vertrauen braucht meistens eine breitere Basis.

Die Zumutungen werden meistens von den Mitarbeitern und von der Öffentlichkeit verdrängt, die Empathie wird ausgeblendet. Man wehrt das ab, indem man so tut, als könnte man selbst ja nicht psychisch krank werden, z.B. weil man keine schlimme Kindheit hatte. Oder der Standpunkt, dass nur dumme und faule Menschen langzeitarbeitslos werden können, und einem selbst das deshalb nicht passieren kann. Hier wird eine berechtigte Angst beschwichtigt und nicht reagiert, anstatt sich für die Situation von Psychisch Kranken und Langzeitarbeitslosen einzusetzen, weil es einen selbst auch treffen kann.

Die Arbeitsämter sind spätestens seit Harz4 auch eine Totale Institution. Mit bürokratischen Mitteln wird man schikaniert bis zur Schmerzgrenze, egal warum man gerade arbeitslos ist. Das Ziel ist offenbar die totale Entnervung, dass man jede Arbeit annimmt, egal wie ätzend die Arbeit, miserabel der Lohn oder kriminell der Chef ist. Mit Maßnahmen, Verwaltungsfehlern und Kontrollterminen gefährdet die ARGE teilweise absichtlich deine finanzielle Existenz.

Diese Opferrolle ist schwierig zu überstehen, man muss richtig auf Zack sein. Wenn du mit Papierkram schlecht klar kommst, z.B. als Legastheniker, oder mit Terminen Probleme hast, z.B. als Alkoholiker, kannst du in der Obdachlosigkeit landen. Auch wenn du sozial etwas unverträglich bist, ohne eine entsprechende Diagnose zu haben, kann dir die Schuld für ein gescheitertes Arbeitsverhältnis gegeben werden, mit schlimmen finanziellen Folgen, ebenfalls bis in die Obdachlosigkeit hinein.

Aus der Rolle kommst du erst wieder raus, wenn du doch noch Arbeit findest oder kaputt geschrieben wirst. Das Schlimmste ist, dass du bei schlecht bezahlter Arbeit auch noch Aufstocker bleibst, und du die ARGE immer noch am Hals hast. Die Hoffnung, dass die Arbeitslosenbetreuung endlich wieder menschenfreundliche Formen annimmt, ist nicht unberechtigt. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde das Potential, in Totalen Institutionen unter Druck zu geraten, nicht nur bei der ARGE selbst entscheidend entschärfen. Auch auf der Arbeit, in der Schule oder in der Ehe wäre man bei Schwierigkeiten wesentlich autonomer, wenn man nicht durch Harz4 bedroht wird. Und im Falle einer psychischen Krankheit könnte man selber entscheiden, wann man wo und wie viel wieder arbeiten will, ohne auf Gutachten angewiesen zu sein.

Die Sorte Mensch, die gerne in starren Hierarchien arbeitet und gerade Totale Institutionen als Arbeitsplatz mag, ist mir persönlich ziemlich fremd. Ich habe hier einen gewissen Verdacht auf Masochismus den Vorgesetzten gegenüber und auf Sadismus den Untergebenen gegenüber. Zu den Untergebenen gehört letztlich auch die Kundschaft, deren Situation als Untergebene ja gerade die Totale Institution ausmacht.

Dennoch gibt es immer wieder gute Beispiele für gute Teams, die schwierige Aufgaben gut lösen und so vernünftige, gute Arbeit machen, und nicht der Versuchung verfallen, schlechte Arbeit und Schlamperei mithilfe ihrer Machtfülle zu decken. Ich habe aber auch schon von Psychopathen und Ekelpaketen gehört, bzw. selbst welche erlebt, dass ich mich frage, wie sowas möglich ist, dass solchen Menschen Macht über Menschen gegeben wird.

Hierarchien sind nicht gleichbedeutend mit Totalen Institution. Unter Umständen sind Hierarchien erfolgreicher als Teams aus gleichberechtigten Mitgliedern. Insbesondere in flachen Hierarchien kann die Arbeit oft gut funktionieren und ihre Aufgaben gut erfüllen.
(Heidi Waldstädt, Tobias Jeckenburger)